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Der FDP-Bundesgeschäftsführer Dr. Marco Buschmann schrieb für „Focus Online“ den folgenden Gastbeitrag:

Am 7. Mai 2017 haben die französischen Wählerinnen und Wähler Emmanuel Macron zu ihrem Präsidenten gewählt. Die Hoffnungen Europas ruhen nun auf ihm und seiner Bewegung „En marche“.

Das gilt nicht nur, weil er einen Rückfall in dunkle Zeiten durch seine rechtsradikale Gegenkandidatin Marie Le Pens verhindern wollte. Dies gilt vor allem, weil mit ihm Initiativen denkbar wären, die dem Projekt Europa neue Zuversicht vermitteln konnten.

„Die noch vor einigen Jahren gerade in der Bundesrepublik zu beobachtende europäische Euphorie hat sich gelegt und ist allgemeiner Skepsis und Resignation gewichen.“ Dieser Satz stammt nicht aus dem Jahr 2017, sondern von einer Titelseite der Neuen Juristischen Wochenschrift des Jahres 1970. Alles verändert sich, doch manches kehrt wieder.

Dazu gehören die Stimmungskonjunkturen Europas. „Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt.“ So schreibt es Goethe über die Liebe und so ist es wohl auch mit Europa. Denn wie in der Liebe geschehen die Dinge nicht von alleine. Eine gelungene Beziehung erfordert Arbeit.

Das glänzendste Beispiel europäischer Beziehungsarbeit stammt aus dem November 1981. Der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein italienischer Amtskollege Emilio Colombo stellten die nach ihnen benannte Genscher-Colombo-Initiative vor. Sie zeigte die Perspektive für eine Europäische Union auf, der eine wirtschaftliche Integration durch einen europäischen Binnenmarkt vorangehen sollte. Dieser Impuls für die Zukunft des europäischen Wirtschaftsraums entwickelte große Strahlkraft. Denn er war eine Antwort auf die wirtschaftlichen Sorgen der Menschen, deren Ursache in der Stagnation der 1970er Jahre lag.

Die Einheitliche Europäische Akte vom Juni 1983 besiegelte dann auch formal dieses Ziel. Nach ihrem Fahrplan errichteten die Mitgliedsstaaten den Europäischen Binnenmarkt 1993 und gründeten die Europäische Union. Auf dem Weg dahin entwickelte das „Projekt Europa“ eine so enorme Anziehungskraft, dass ihm neue Mitgliedstaaten beitraten. Die eingetrübte Stimmungskonjunktur für Europa war überwunden und wich einer neuen Begeisterung.

Was wir heute brauchen, ist eine neue Genscher-Colombo-Initiative. Aber was könnte sie sein? Sind nicht alle großen Ideen schon gedacht und alle großen Aufgaben erledigt? Mitnichten. Denn woher sollte die allgemeine Europa-Skepsis wohl stammen, wenn alles zum Besten bestellt wäre? Ist es die wirtschaftliche Depression im Süden Europas? Nur zum Teil. Denn wer genau hinschaut, wird sehen, dass insbesondere die Osteuropäer etwas ganz anderes in die Arme der Europa-Skeptiker treibt: Wenn Europa nicht einmal in der Lage ist, mit einem Ansturm unbewaffneter Flüchtlinge auf seine Grenzen koordiniert umzugehen, wie soll es dann erst sein, wenn dort eine Arme stünde?

Wer sollte es unseren östlichen Nachbarn mit Blick auf die Ereignisse auf der Krim diese Überlegung verdenken? Wer sollte es unseren östlichen Nachbarn in Anbetracht der Unsicherheit rund um die künftige US-amerikanische Außenpolitik übelnehmen?

Auf dieses Bedürfnis gibt es eine europäische Antwort: 1954 scheiterte die Europäische Verteidigungsgemeinschaft an Deutschland und Frankreich. In Deutschland meinten viele, dass in Anbetracht der eigenen Geschichte nicht einmal die Bundeswehr ein legitimes Instrument sei. In Frankreich klammerte sich eine Mehrheit in der französischen Nationalversammlung an den Mythos der „Grande Nation“.

Doch jedermann in Deutschland hat mittlerweile verstanden, dass einsatzfähiges Militär eine Grundbedingung eigener Sicherheit in Freiheit ist. In Frankreich gibt es nun mit Emmanuel Macron einen Präsidenten, der pro-europäischer aufgestellt ist als viele andere in seinem Land. Warum sollten also Deutschland und Frankreich nicht die Idee einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft, also einer gemeinsamen europäischen Armee wiederbeleben?

Der Weg dorthin ließe sich sofort beginnen: Der EU-Vertrag bietet bereits heute das Instrument der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen. Die Aufstellung europäischer, multinationaler Verbände ist ebenso möglich wie eine schrittweise integrierte gemeinsame militärische Ausrüstung. Ein gemeinsames Hauptquartier könnte aus den Stabselementen der fünf bereits bestehenden supranationalen Korps hervorgehen.

Auf diese Weise könnte auch die Effizienz der finanziellen Ressourcen enorm steigen. Bisher getrennte Waffensysteme würden kompatibel. Die Hebung dieser Synergien wäre eine Alternative zum Dogma des „Zwei Prozent-Ziels“, auf deren Einhaltung US-Präsident Trump neuerdings pocht. Diese Synergien heben nämlich die materielle Verteidigungskraft bei niedrigeren Kosten.

Denn jeder weiß doch: Egal, was Frau Merkel Herrn Trump versprochen hat. Deutschland wird niemals seine Verteidigungsausgaben über Nacht um 35 Milliarden Euro steigern können und wollen, um das „Zwei Prozent-Ziel“ zu erreichen. Und der größte Teil Europas kann es in seiner wirtschaftlichen Lage erst recht nicht.

Worauf warten wir also noch? Der Weg in die Europäische Verteidigungsgemeinschaft steht rechtlich offen, ist vernünftig und braucht nur den Mut, ihn zu betreten. Deutschland und Frankreich mit einem Präsidenten Macron könnten hier vorangehen: „En marche en direction de l'armée européenne!“